Extreme Wetterereignisse 2023 sind eine Wendemarke1
Hamburg, 27. September 2023 – Wissenschaftler:innen und Expert:innen sehen in ihrer Bestandsaufnahme auf dem 13. ExtremWetterKongress die Chance als verpasst an, mit relativ wenig Aufwand das Klimasystem zu stabilisieren. Der Klimawandel wird aus Sicht der Konferenzteilnehmer:innen nun in großen Teilen ungebremst erfolgen, womit nicht mehr abwendbare massive Veränderungen auf unserem Planeten zu erwarten sind. 2023 stellt nach Ansicht der Experten das Jahr dar, in dem die Entwicklung der extremen Wetterereignisse ein Maß erreicht hat, in dem es keine Möglichkeit mehr der Leugnung des Klimawandels und der menschlichen Ursachen gibt. Neben der dringenden Mahnung zum entschlossenen Klimaschutz mahnen die Wissenschaftler:innen auch zum entschlossenen Handeln im Bereich der Anpassung und den nicht umkehrbaren Folgen einer weiteren globalen Erwärmung.
Vor dem Hintergrund rapide schmelzender Gletscher, brennender Wälder, dramatischer Überschwemmungen und extremer Hitzewellen fand vom 27.09.2023 bis 29.09.2023 in Hamburg der 13. ExtremWetterKongress statt. Wissenschaftler:innen ordneten an drei Kongresstagen die aktuellen Ereignisse ein, stellen neueste Ergebnisse ihrer Forschungen einer breiten Öffentlichkeit vor und gehen mit dieser in einen direkten und interaktiven Dialog. Im Rahmen des Kongresses stellt der Deutsche Wetterdienst als wissenschaftlicher Partner des ExtremWetterKongresses das neue Faktenpapier „Was wir 2023 über das Extremwetter in Deutschland wissen“ vor.
2023 ist für die Klimaentwicklung auf unserem Planeten eine Wendemarke. Nie zuvor waren die globalen Luft- und Wassertemperaturen so hoch, wie in diesem Jahr. Nie zuvor haben Hitzerekorde und Waldbrände ein solches Ausmaß erreicht wie 2023. Die um 5 bis 6 Grad höheren Wassertemperaturen im Mittelmeerraum haben für Rekordwerte bei der Verdunstung und den nachfolgenden Niederschlägen in Europa und Nordafrika gesorgt. Durch die Zufälligkeiten im chaotischen System der Atmosphäre kam es in Deutschland nicht zu den extremen Hitze- und Dürrephasen, wie wir sie in Südeuropa erlebt haben. Es wäre möglich gewesen. Neben den dringend notwendigen Maßnahmen zum Stopp eines weiteren Anstiegs der Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Atmosphäre sehen die Expert:innen auf dem Kongress die ebenso dringende Notwendigkeit verstärkter Anstrengungen in der Anpassung an die nicht mehr abwendbaren Folgen der massiven globalen Erwärmung. Die Wissenschafter:innen auf dem Extremwetterkongress nehmen die Entwicklungen daher mit größter Sorge wahr. Erstmals halten saisonale Klimamodelle für die Jahre 2024 und 2025 das Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze bei den globalen Temperaturen für möglich.
Das sagen die Wissenschaftler: Jede weitere Erderwärmung führt zu einer raschen Zunahme wetterbedingter Naturgefahren
„Die schrecklichen Bilder der Unwetterkatastrophen in Griechenland, Bulgarien, der Türkei und in Libyen haben wir alle noch vor Augen. Die internationale Klimaforschung ist sich einig:
Jede weitere Erderwärmung führt zu einer raschen Zunahme wetterbedingter Naturgefahren wie zum Beispiel Hitzewellen, extreme Trockenheit, Starkregen oder Stürme und erhöht damit die Risiken für Mensch und Natur.
Wir alle müssen uns deshalb besser auf die katastrophalen Folgen von Extremwetter wie Dürren, Waldbrände, Überflutungen vorbereiten. Wir müssen aber auch deren indirekte Wirkung auf Ernährungssicherheit, Trinkwasserverfügbarkeit und Artenvielfalt im Blick haben.“
sagt Tobias Fuchs, Vorstandsmitglied und Leiter des Geschäftsbereichs Klima und Umwelt des Deutschen Wetterdienstes
Der Klimawandel hat – und das ist quantitativ belegbar – bei Extremwetter seine Finger im Spiel. In Deutschland ist die Jahresmitteltemperatur seit 1881 um etwa 1,7 Grad angestiegen. Seit 1960 war hierzulande jede Dekade wärmer als die vorherige. Im Gesamtzeitraum 1881-2022 wurde es jedes Jahrzehnt 0,12 Grad wärmer, für den Zeitraum 1971-2022 lag die Erwärmungsrate schon bei 0,38 Grad Celsius pro Dekade. Hier kann man mit Messungen zahlenmäßig belegen, wie die Erderwärmung Fahrt aufnimmt.
Mehr Hitzeextreme und Hitzewellen in Deutschland
Die Zahl heißer Tage mit einer Maximaltemperatur von mindestens 30 °C ist seit den 1950er Jahren von etwa 3 Tagen im Jahr auf heute im Mittel 9 Tage gestiegen, das heißt auf das 3fache. Am 20. Juli 2022 wurde während einer intensiven Hitzewelle in Hamburg-Neuwiedenthal eine Tageshöchsttemperatur von 40,1 °C gemessen. Noch nie wurden in Mitteleuropa so nördlich Temperaturen über 40 °C gemessen. Die höheren Temperaturen im Sommerhalbjahr bei gleichzeitig abnehmenden Niederschlägen führen dazu, dass die Pflanzen zum einen früher mit der Verdunstung beginnen und zum anderen auch mehr verdunsten können. Das hat in der Summe zur Konsequenz, dass die Böden im Frühjahr schneller und im Sommer stärker austrocknen. Insgesamt beobachteten unsere Agrarmeteorolog:innen in den vergangenen 10-15 Jahren eine Zunahme trockener Frühjahre und Sommer. Gleichzeitig stellen wir eine Zunahme der Winterniederschläge seit 1881 um 27 Prozent fest. Wärmere Sommer und längere Trockenphasen verstärken auch in Deutschland das Risiko von Waldbränden. In vielen Regionen kommt es seit den 1990er Jahren zu einer massiven Häufung von Hitzewellen. Bei ungebremstem Treibhausgasausstoß erwarten wir für den Zeitraum 2031-2060 eine weitere Zunahme um 5 bis 10 heiße Tage im Jahr in Norddeutschland und von 10 bis 20 heißen Tagen in Süddeutschland.
Die Frühjahre und Sommer werden trockener
Deutschlandweit gemittelt gab es im Zeitraum 1961 bis 1990 rund 5 Tage im Jahr. Im Zeitraum 1991 bis 2020 waren es schon rund 10 Tage. 4 der letzten 5 Jahre waren von erhöhtem Waldbrandrisiko betroffen. Der Sommer 2023 verlief hierzulande bei uns vergleichsweise glimpflich.
Dieser Blick auf einige Aspekte des Klimas in Deutschland zeigt: Wir leben mitten in einem menschengemachten Klimawandel mit Auswirkungen auf unser tägliches Leben. Es ist an uns, das wahrzunehmen und zu handeln – sowohl mit Klimaanpassung als auch mit Klimaschutz.“
In Deutschland sind schwerste Gewitter mit Sturmböen, Hagel und extremen Niederschlägen oder viele Tage mit Hitze und Trockenheit auch fast schon Alltag in jedem Jahr.
Attributionsstudien, an denen auch der Deutsche Wetterdienst aktiv beteiligt ist, zeigenmzudem: Der Klimawandel hat – und das ist quantitativ belegbar – bei Extremwetter seine Finger im Spiel und verändert auch hierzulande bereits die Intensität und Häufigkeit von
Wetterextremen. Ich nenne nur die Stichworte Sturzflutkatastrophe im Ahrtal und Hitzewellen. Aber es bringt wenig, schwarz zu malen und sich in Untergangsphantasien zu verlieren. Das könnte bei vielen Menschen die Bereitschaft lähmen, sich für Klimaschutz zu engagieren.
„Wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken. Wenn wir jetzt das Klima durch Transformation zur Klimaneutralität massiv schützen, können wir die Erderwärmung verlangsamen. Angesichts der jüngsten Katastrophen sehen wir: Bereits jetzt zählt dabei jedes Zehntelgrad! Und wenn wir uns jetzt mit aller Kraft auf die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels einstellen, kann Deutschland auch in 50 oder 100 Jahren ein Land sein, das den dann hier lebenden Menschen gute Lebensbedingungen bietet.“
betont Tobias Fuchs, Vorstandsmitglied und Leiter des Geschäftsbereichs Klima und Umwelt des Deutschen Wetterdienstes
Update:
Prof. Latif: „1,5 Grad überhaupt nicht zu erreichen
Der Klimaforscher Mojip Latif sagt der Augsburger Allgemeinen, zitiert nach ZDF, dass das 1,5° Klimaziel, so wie bei der Klimakonferenz 2015 in Paris weltweit festgelegt, schon damals illusionistisch gewesen ist, denn in Deutschland ist das 1,5°- Ziel schon längst überschritten. Weltweit wird 2023 der Klimaanstrieg bei 1,2° C liegen, machen wir so weiter wie bisher, werden wir den Temperaturanstieg nicht auf 1,5°C begrenzen, sondern auf ein Temperaturplus von 2,7°C zu verzeichnen haben.
Die Begrenzung des Klimawandels auf +1,5°C wird nach Untersuchung der UN (Climate Action Trecker) von keinem untersuchten Land in der Welt erreicht, z.B. Norwegen, Großbritannien. Würde alle Länder der Welt ihre geplanten Beiträge zum Klimaschutz erreichen, würde es nach heutigem Stand mindestens +2°C Temperaturanstieg bedeuten. Prognostiziert wird von der UN derzeit ein Temperaturanstieg in Europa von +3° C (Ausnahme Norwegen und GB +2°C), Russland, USA +3°C, Indien und China +4°C